Zum Urheberrechtsschutz einer Handschrift
Der Handschrift eines Menschen kommt in der Regel kein Werkcharakter zu. Wenn auch in der Judikatur gelegentlich die Metapher verwendet wird, ein Werk müsse, um als solches zu gelten, die „individuelle Handschrift“ des Urhebers tragen[1], so ist dies nicht wörtlich zu verstehen.
Die Handschrift ist zweifellos individuell; ihre Einzigartigkeit ergibt sich aber nicht aus dem Ausdruck künstlerischer Gestaltung, sondern aus jahrelangem, in kleinsten Nuancen geschehenden Verschleifen der gelernten Lateinschrift. Damit ist sie nicht Produkt individueller Schöpfungskraft, sondern bezieht ihre Einzigkartigkeit ausschließlich aus der statistischen Unwahrscheinlichkeit, dass eine andere Person genau dieselbe Schrift verwendet.[2]
Trotzdem: Auch Schriftzeichen sind zur künstlerischen Gestaltung fähig[3], weil auch Erzeugnisse, bei denen der künstlerische Gedanke etwa nur in Form der Linienführung zum Ausdruck kommt, Schutz genießen.[4]
Dies wurde zum Beispiel bei Schriften bejaht, die von den üblichen Gebrauchsschriften abweichen und eine „eigenständige rhythmische Durchführung“ zeigen. Die Zuerkennung von Werkcharakter an eine Handschrift in ihrer konkreten Ausformung ist daher denkbar, wenn sie sich ausreichend vom vorbekannten Formenschatz abhebt und eigentümliche und individuelle Zeichen aufweist, die als Neuschöpfung zu beurteilen sind.[5]
[1] OGH 4 Ob 274/02a; 4 Ob 201/04v
[2] OGH vom 23.2.2016, GZ 4Ob142/15h – Bettis Handschrift
[3] OGH Os 1254/27
[4] vgl demgegenüber jedoch RIS-Justiz RS0076695; RS0076734, wonach der bloße Stil nicht schutzfähig ist.
[5] siehe FN 2